Freitag, 3. 11. 1995
20.00 Uhr
Der öffentliche Raum in der vernetzten Stadt .
Die globale elektronische Vernetzung wirkt sich nicht nur auf unser privates und
berufliches
Leben aus, sie verändert auch den öffentlichen Raum. Wie sehen Architekten und
Stadtplaner
die Stadt für das 21. Jahrhundert?
Moderation: Michael Sorkin, Architekt und Schriftsteller, New York und
Florian Rötzer, Medientheoretiker, München
- Michael Sorkin
Architekt und Schriftsteller, New York
Wiedererfindung der Urbanität - Einführung in das Tagungsthema:
Die Städte und ihre öffentlichen Plätze, die räumliche Dichte und Nähe von
Heterogenem bedeuten, werden heute durch den Cyberspace überlagert, der sich mittels
Satelliten- und Kabelverbindung vornehmlich in der Nähe von Verkehrswegen und - knotenpunkten
auf dem flachen Land ausbreitet. Der Auszug wichtiger Bereiche des urbanen Lebens aus
der Stadt wird von Wiederbelebungsversuchen begleitet, die die alten Zentren in erlebnis-
und konsumorientierte Nicht-Orte verwandeln. Das hat eine Privatisierung und
zunehmende Kontrolle des öffentlichen Raumes zur Folge.
- Leon Krier
Architekt, Luxemburg/London
Urbanisierung der Vorstädte - die Lebendigkeit der Stadt ist unsere Zukunft
Barbarei läst sich nur durch städtische Zivilisation besiegen. Deshalb müssen
die verödeten
Zentren und Subzentren der Stadt wieder mit urbanem Leben angefüllt werden. Auch
der
elektronisch vernetzte Mensch braucht die lebendige Piazza und eine
menschengerechte
Architektur, die den klassischen Wertekanon unserer Kultur widerspiegelt.
- Daniel Libeskind
Architekt, Berlin/Los Angeles
Die Stadt ist ein Niemandsland mit vielfaltigen Knotenpunkten
Die entscheidende Herausforderung für Architekten und Stadtplaner sind die
Vorstädte. Zu
lange haben Architekten sich nicht mehr um die urbanistische Qualität ihrer
Arbeit gekümmert.
Im Zeitalter des Cyberspace werden die Vorstädte und Regionen auserhalb der
Stadtzentren
aber zur Lebens- und Arbeitswelt für die Mehrzahl der Menschen, während die
Innenstädte,
wenn sie nicht endgültig veröden sollen, neue Funktionen übernehmen müssen. Wie
läst sich
durch urbanistische und architektonische Planung urbanes Leben in die Vorstädte
bringen?
Samstag, 4. 11. 95
9.00 bis 18.00
Urbanität und soziale Kommunikation in der vernetzten Stadt.
Die City, einst Zentrum für Kommunikation und Kreativität, hat diese Bedeutung
schon lange
eingebüst. In Zukunft werden wichtige Teile urbanen Lebens in die Netze und die
überall
entstehenden Subzentren abwandern. Wieviel urbane Kultur braucht die Stadt zum
Überleben? Welche zusatzlichen Probleme oder welche neuen Chancen und
Möglichkeiten
ergeben sich fü die Städte durch die elektronische Vernetzung? Welche
Funktionen müssen
die Städte des 21. Jahrhunderts erfüllen?
Moderation: Michael Sorkin, Architekt und Schriftsteller, New York und
Florian Rötzer, Medientheoretiker, München
- Manuel Castells
Soziologe, Prof. of Planning, University of California, Berkeley
Die vernetzte Stadt - zwischen globaler Ökonomie und lokaler Gesellschaft.
Die Informationstechnologie basiert auf einer ortlosen Ökonomie von weltweit
agierenden Unternehmen. Sie begünstigt das Entstehen einer neuen Form von
Zweiklassengesellschaft, die sich auch in die räumlichen Strukturen der Stadte einprägt, und läst die
Städte zu austauschbaren und machtlosen Knoten im Netz der Informationsflüsse werden. Wie
kann man diesem Trend zur zweigeteilten Stadt entgegenwirken, und welche Chancen haben
die Städte, ihre lokale Identität zu behaupten in einer Welt, die sich nach der ortlosen
Logik von Informationsflüssen organisiert?
- Saskia Sassen
Political Economy, Prof. of Urban Planning at Columbia University, New York
Die neue Zentralität - Auswirkungen von Telematik und Globalisierung auf die
Strukturen der Stadt. Der Cyberspace, das Medium, mit dem sich das Kapital weltweit in den großen
Metropolen konzentriert, führt zu neuen hierarchischen Strukturen in Raum und Leben der
Städte. Ein Teil der Bevölkerung bleibt von vorneherein ausgeschlossen von der
Informationsversorgung, ganze Städte und Landstriche werden zu schwarzen Löchern der
Informationsgesellschaft. Ist die aktive Beteiligung der Bürger an den Netzen und die Einrichtung virtueller
öffentlicher Räume eine wirksame Möglichkeit, der Marginalisierung von Orten und
Bevölkerungsgruppen entgegenzuwirken?
- Christine Boyer
Prof. of Architectural History, Theory and Design at the School of Architecture,
University of Princeton
Städte sind Orte des kollektiven Gedachtnisses.
Die elektronische Vernetzung hat den Unterschied zwischen Zentrum und Peripherie
eingeebnet und die Einheit und Identität der Städte verwischt. Die Vielfalt des
städtischen Lebens ist der eindimensionalen theatralischen Konsum-Inszenierung gewichen. Die
Stadt ist aber ohne ihr kollektives Gedachtnis nicht überlebensfähig. Hierin liegt die
große Herausforderung für die gegenwärtige Stadtbaukunst: sie muß überzeugende
Lösungen für die Verbindung der traditionellen alten und der komplexen neuen Stadtstrukturen finden.
- Albert Speer
Stadtplaner, Frankfurt am Main; Prof. für Stadt- und Regionalplanung,
Universität Kaiserslautern
Die Stadt des 21. Jahrhunderts muß intelligent sein.
Die Kriterien für eine intelligente Stadt beziehen sich im wesentlichen auf
einen intelligenten, d. h. sorgsamen Umgang mit den Ressourcen, vor allem den nicht vermehrbaren
Flächen. Soll die Stadt eine Zukunft haben, müssen dringend neue Kooperationsformen gefunden
werden, die alle an dem gesellschaftlichen Veränderungsprozeß Beteiligten, die
Stadtverwaltung, die Wirtschaft, die Bürger und Bürgerinitiativen, mit einbeziehen. Hierbei kann die
elektronische Vernetzung wichtige Hilfestellung leisten.
- Rolf Kreibich
Leiter des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Berlin
Cyberspace und die Folgen - Versuch einer Technologiebewertung.
Globale Vernetzung geht mit großen Ankündigungen und Versprechen einher:
Unternehmen werden sich dezentralisieren und virtualisieren, man wird zunehmend zu Hause
oder im Grünen arbeiten, man wird über das häusliche Medienzentrum auch einkaufen, studieren
und mit der Welt kommunizieren, ohne jemals das Haus verlassen zu müssen, dadurch werden
sich die Verkehrsstrome reduzieren und die Belastung der Umwelt wird abnehmen.
Welche Bedeutung hat in solchen Szenarien die Stadt? Welche der angekündigten Trends
werden sich wirklich durchsetzen?
- Wolf D. Prix
Architekt, Coop Himmelb(l)au, Wien
Architektur ist ein dynamischer Prozeß. Die Komplexität der elektronisch vernetzten Stadt verlangt nach neuen
architektonischen Lösungen und einem nicht-hierarchischen Konstruktionssystem. Architektur ist ein
gebautes Psychogramm, das den gegenwartigen Zustand der Gesellschaft widerspiegelt.
- Wolf Singer
Hirnforscher, Leiter des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung, Frankfurt
Die Architektur des Gehirns - ein Modell für die Organisation des komplexen
Systems Stadt? Das Gehirn ist das effizienteste organische System, das wir kennen. Es ist
extrem dynamisch, kreativ, innovations-, lern- und anpassungsfähig und zeichnet sich durch eine
hochgradig parallele Organisation ohne Entscheidungshierarchie aus. Man kann sich leicht
vorstellen, das eine komplexe Organisationsstruktur, wie sie dem menschlichen Gehirn zugrunde
liegt, in all solchen gesellschaftlichen Bereichen effizient wäre, wo die alten hierarchischen
Modelle ganz offensichtlich ausgedient haben. Dazu gehört auch die zentrumsorientierte Stadt.
- Ken Sakamura
Architekt, Japan
Im 21. Jahrhundert werden auch die Stadte intelligent sein
Das japanische Projekt TRON war ein Pilotprojekt, das zeigen sollte, wie
intelligente Häuser
der Zukunft aussehen könnten. Alles, bis hin zum Klima, wird in diesen Häusern
von vernetzten Computern gesteuert. Doch wie werden die Städte aussehen, die aus
solchen intelligenten Häusern bestehen, wie das Leben in diesen Städten?
- Bernd Zabel
Director of Biospheric Operations, Biosphere 2, Oracle (Arizona)
Biosphäre 2 - Erfahrungen mit einem auf Technik basierenden Lebensraum
Das Projekt Biosphäre 2 in der Wüste von Arizona ist eine in sich abgeschlossene
Struktur mit eigenem Klima und integrierter Natur, die nicht Stadt und nicht Cyberspace ist.
Welche neuen Perspektiven ergeben sich durch die Erfahrungen mit dieser Techno-Welt für die
Gestaltung zukünftiger Lebensräume?
- Terry Wyatt / Christian Herdel
Architekten, London und Darmstadt
Öko-Polis (Ecopolis). Moderne Stadtplanung muß energieeffizient und umweltbewußt sein und als oberste
Maxime die Wiedergewinnung der städtischen Lebensqualität im Auge haben. Die
Hauptfragen betreffen die Energieversorgung, den Güter- und Personentransport, die
Abfallentsorgung, die Qualität von Wasser und Luft, das Material. Die Informationstechnologie sollte
als Chance für die Versöhnung von Stadt und Ökologie genutzt werden. Wie ein durch Tele-Arbeit
frei werdendes unwirtliches Büroviertel zum lebendigen Stadtviertel umgestaltet
werden kann, zeigt eine Fallstudie aus dem Raum Frankfurt (Bürostadt Frankfurt-Niederrad).
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